Anna Carolina Wolpers - ein Ausnahmetalent wechselt die Sportart
Es war ein Schock für die Niedersächsische Turnszene, als Anna Carolina Wolpers im vergangenen Jahr ihre verheißungsvolle Gerätturn-Karriere beendete.
Auf dem Weg nach ganz oben - ihrem Traum Olympia - stand sie sich selbst im Weg. Blockaden sind immer wieder ein Thema im Gerätturnen, bekanntestes Beispiel ist Pauline Schäfer, die am Balken kaum mehr als einen Bogengang als Rückwärts-Akro turnte und doch Weltmeisterin an diesem schwierigen Gerät wurde.
Bei der 14jährigen kamen die Blockaden in den letzten Jahren immer häufiger, manchmal turnte sie nicht mal einen Flick-Flack am Boden und es dauerte Wochen und zum Schluss Monate, bis sie wieder alles sicher absolvierte. Das Jahr 2021 begann sie total motiviert, Anna hatte sich viel vorgenommen und trainierte an neuen Elementen. Bis dann wieder gar nichts mehr ging. Im März standen die Landesmeisterschaften an und sie musste sich an jedem Gerät überwinden, selbst beim Einturnen. „Ich habe mir selbst im Weg gestanden und dann nur ein abgespecktes Programm gezeigt“, blickt Anna auf ihren letzten Turnwettkampf zurück. Aber selbst damit holte die für den TSV Vordorf startende Turnerin nicht nur den Sieg in ihrer Altersklasse, sondern war auch mit nur 0,3 Punkten Rückstand zweitbeste Niedersächsische Athletin überhaupt. Das Ticket zur Deutschen Meisterschaft war sicher.
Jeder Außenstehende fragt sich bei dieser Geschichte, warum tut sie sich das an? „Ich konnte mir ein Leben ohne Turnen nicht vorstellen, Turnen war mein Leben,“ erwidert die junge Sportlerin. Klar, neben der Schule gab es für sie nichts anderes, sechsmal in der Woche hatte Anna im Hannoverschen Leistungszentrum trainiert und damit ihre komplette Freizeit dafür geopfert. Ihr wahnsinniger Ehrgeiz kannte keine Grenzen. Aber alle sahen, wie sich Anna quälte, wie schlecht es ihr zum Teil ging, die Phasen des unbeschwerten Trainings, wo sie mutig Menicellis und Spreizsalto auf dem Balken ohne Probleme turnte, wurden immer kürzer. Die Landestrainer gaben ihr alle Zeit und unterstützen Anna wie es nur ging - manchmal einen Schritt vor und zwei zurück. Nachdem eine Reduzierung des Trainingspensums auch nichts brachte, traf Anna im Sommer die Entscheidung, mit dem Gerätturnen aufzuhören. Obwohl die meisten aufgrund der Vorgeschichte es irgendwie erwartet hatten, konnte es dennoch niemand richtig glauben. Ein emotionaler Abschied mit viel Tränen, nicht nur bei den Turnerinnen, auch bei den Trainern. „Anna brachte alles mit, was eine Turnerin brauchte, ein seltenes Talent, aber der Kopf spielte nicht mit,“ blickt Annette Lefebre zurück.
Aber es gab für die zierliche Sportlerin auch einen kleinen Lichtblick: schon als kleines Kind hatte sie mal mit der Rhythmischen Sportgymnastik geliebäugelt, wollte es einfach mal ausprobieren. Und da war ab und zu RSG-Trainerin Iryna Sherenkovska im Leistungszentrum. Und so kam eins zum anderen - jetzt war der richtige Zeitpunkt, um einfach was anderes zu probieren. Nun fährt die Platendorferin dreimal in der Woche trotzdem nach Hannover, zum SV Arnum, wo die niedersächsische Sportgymnastik-Elite trainiert. Als Turnerin bringt Anna die nötige Körperspannung und Beweglichkeit mit, aber auch andere Qualitäten, wie ihre Sprungkraft. Ihre erste Übung mit dem Reifen ist daher sowohl mit Spagat- wie auch Durchschlagsprung gespickt, was gute Punkte bringt. Und kaum ein halbes Jahr später stand Anna zur Überraschung aller beim international besetzten Arnumer Winter-Cup auf dem Treppchen, und zwar ganz oben. Gold für ihre Reifenübung und Silber in der Gesamtwertung aus Reifen- und Ballübung. Anna kann wieder Lachen. Die zurückhaltende junge Sportlerin hat wieder Freude am Sport, ist so motiviert, dass sie bereits ihre ersten Deutschen Meisterschaften in der RSG ins Visier nimmt.
Teilweise führt sie ihr Training auch ins Badenstedter Leistungszentrum: „Ich freue mich dann alle mal wieder zu sehen und ab und zu turne ich einfach mal mit,“ schließt Anna, „und dann klappt sogar das freie Rad auf dem Balken ohne Probleme.“